Elenor* ist 34 Jahre alt, als ihre Beziehung auseinandergeht. Ein Jahr später betritt sie eine Kinderwunsch-Klinik. Ihr Entschluss steht fest: Elenor lässt sich operativ Eizellen entnehmen und diese einfrieren. «Falls ich zu einem späteren Zeitpunkt Mutter werden möchte, habe ich so eine vorsorgliche Massnahme getroffen», sagt sie.
Das ist zwei Jahre her. Jetzt sitzt die heute 37-Jährige in einem Kaffee am Bellevue in Zürich, vor sich einen Stapel mit Unterlagen. Darin sind Informationen zu künstlicher Befruchtung und Social Freezing, wie das Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinische Gründe genannt wird.
Was löst es in ihr aus, dass Eizellen von ihr eingefroren sind? Dass sie so der tickenden biologischen Uhr aktiv etwas entgegensetzen kann? «Es erleichtert mich sehr zu wissen, dass ich so etwas länger Zeit habe mit einer allfälligen Familiengründung», sagt Elenor. Sie kennt den Richtwert, dass sich die Qualität und Anzahl der Eizellen ab 35 Jahren «rapide verschlechtert», wie sie selber sagt. Deshalb hat sie nach der Trennung nicht lange gezögert, und sich dazu entschieden, Eizellen einzufrieren. «Ich bin froh, dass die Medizin heute so weit ist.» Und es Frauen wie ihr erlaube, eigenmächtig zu handeln.
Seit 2014 gilt, dass eingefrorene Eizellen während zehn Jahren gelagert werden dürfen. Das Gesetz besagt, dass die Eizellen nach Ablauf dieser Frist entsorgt werden müssen. Und zwar unabhängig davon, ob die Spenderinnen ihre Eizellen noch nützen möchten oder nicht.
Daran stört sich Nationalrätin Katja Christ (GLP/BS). Sie hat deshalb einen Vorstoss zum Thema eingereicht. Konkret fordert sie eine Übergangsregelung für den Umgang mit dem «wertvollen biologischen Material», wie sie es nennt. «Wir befinden uns beim Fortpflanzungsmedizingesetz an einem heiklen Punkt.» Einerseits sei die 10-Jahres-Frist seit vier Monaten ausgelaufen, einzelne Eizellen müssen also bereits vernichtet werden. Andererseits werde im Rahmen der anstehenden Gesamtrevision bereits über die Verlängerung oder Abschaffung dieser Frist diskutiert.
Kommt dazu: Auch in Vorbereitung sind die gesetzlichen Grundlagen zur Legalisierung der Eizellspende. Diese ist laut Christ politisch beschlossen, wobei die Umsetzung noch unklar ist. Christ sagt deshalb: «Wir müssen die Diskussion führen, ob die bereits eingefrorenen Eizellen auch gespendet statt vernichtet werden dürfen.»
Die Geburtenrate hat einen historischen Tiefstand erreicht. Umso wichtiger wäre es für Christ, «den Menschen mit Kinderwunsch, bei denen es auf natürlichem Weg nicht klappt, die Möglichkeit der Eizellenspende auch endlich in der Schweiz anzubieten». Es zeichne sich ab, dass die Schweiz wohl zu wenig Spenderinnen haben werden.
Wie Christ sitzt auch Nationalrat Alois Huber (SVP/AG) in der Wissenschaftskommission. Er hat eine dezidiert andere Meinung und will keine Verlängerung der Lagerfrist von Eizellen. «Das ist Salami-Taktik», sagt er, «dagegen wehre ich mich». Einst sei die Schweiz gegen Eizellspende gewesen, nun werde diese wohl kommen. «Nach heutigem Gesetz müssen eingefrorene Eizellen nach zehn Jahren vernichtet werden, das ist richtig so. Für mich gibt es keinen Grund, hier etwas zu ändern.» Es handle sich dabei um unbefruchtete Eizellen und nicht um Embryonen, «deren Vernichtung sollte für Betroffene verkraftbar sein», sagt Huber. Zudem wolle er keine Frauen, die erst ab Mitte 40 Mütter würden.
Anruf bei Brigitte Leeners, Direktorin der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Universitätsspital Zürich (USZ). Sie gibt einerseits Entwarnung. Schweizweit hätten wohl erst wenige Eizellen vernichtet werden müssen. Andererseits sieht sie Handlungsbedarf: «Das wird sich in den kommenden Jahren ändern.»
Daten liefert das Bundesamt für Gesundheit BAG, allerdings liegen erst für die Jahre 2019-2021 aussagekräftige Resultate vor, wie das Amt auf Anfrage mitteilt. Die Zahlen für eingefrorene Eizellen aus medizinischen Gründen wie einer Chemotherapie bleiben demnach einigermassen konstant. 2019 waren es 348, 2020 377, ein Jahr später 540. Die Anzahl Eizellen aus «anderen Gründen», eben Social Freezing, steigen derweilen stark an. 2019 waren es 841 Eizellen, 2021 mit 1574 fast doppelt so viele.
«Die Anzahl Frauen, die Eizellen aus sozialen Gründen einfrieren lassen, steigt exponentiell an», bestätigt Professorin Leeners. 2015 habe das USZ vereinzelte Anfragen bekommen, heute führe allein das USZ mehrere Behandlungen pro Woche durch.
Woran liegt das? «Es bewegt sich etwas in der Gesellschaft, heute sprechen wir offener über Fruchtbarkeit. Und über Single-Frauen», sagt Leeners. Ü50-Mütter wie die italienische Sängerin Gianna Nannini sorgten zudem für Schlagzeilen.
Julia Schmid ist Co-Autorin einer Studie der Universität Zürich, in welcher die psychologischen Aspekte von Social Freezing untersucht werden. Die Ergebnisse werden erst in den nächsten Monaten publiziert. Doch schon heute kann Schmid festhalten: «Der Hauptgrund für Social Freezing ist die fehlende Partnerschaft. Das ist durch Studien gut belegt.»
Zurück ins Kaffee zu Elenor. In ihrem sozialen Umfeld sei das Einfrieren von Eizellen schon länger ein Thema und auch verbreitet, sagt sie, und nimmt einen Schluck Kaffee. «Ich kenne über zehn Frauen, die ihre Eier haben kryokonservieren lassen.»
Diese Gespräche mit Freundinnen, die den Eingriff schon hinter sich hatten, seien wichtig gewesen für sie. «Eizellen zu entnehmen, ist kein Spaziergang.» Sie habe die Wirkung der Medikamente körperlich unterschätzt, ebenso wie die emotionalen Auswirkungen der gespritzten Hormone. «Statistisch gesehen leidet eine von vier Frauen während des Prozesses stark unter körperlichen und emotionalen Problemen.»
Elenor setzt sich nicht nur vor dem Hintergrund der persönlichen Erfahrung mit dem Thema auseinander, sondern auch beruflich. Sie arbeitet selbstständig als systemische Coachin. Einer ihrer Schwerpunkte: Social Freezing und künstliche Befruchtung (IVF). Durch die Ausbildung und später die eigene Erfahrung habe sie gemerkt: Der Bedarf nach professioneller, externer Hilfe sei gross. Kinderwunsch-Ärzte klärten oft nur technisch auf, anders als etwa in den USA würde in der Schweiz keine mentale Hilfe angeboten. Das müsse sich ändern.
Professorin Leeners vom USZ sagt: «Ja, der Prozess zum Egg Freezing kann körperlich und psychisch belastend sein.» Es gäbe keine Garantie auf ein Kind. Doch Social Freezing sei eine Option, die Frauen erstmalig die Chance gäbe, «das zeitliche Ungleichgewicht gegenüber der Fruchtbarkeit zum Mann auszugleichen». Männer sind bekanntlich länger fruchtbar, Frauen hören ab Mitte 30 die biologische Uhr ticken, das kann für Frauen mit Kinderwunsch in den 30ern problematisch sein nach gescheiterten Beziehungen.
Ob die 10-Jahres-Regel Sinn macht, lässt sich laut Leeners nicht so einfach beantworten. Rein medizinisch-technisch betrachtet verlören die eingefrorenen Eizellen auch nach über zehn Jahren nicht an Qualität. «Gesundheitlich und ethisch betrachtet macht eine Altersbegrenzung für Schwangerschaften indes Sinn», sagt Leeners. Anstelle einer starren 10-Jahres-Regelung fände sie eine Altersbegrenzung für Schwangerschaften sinnvoll. Grundsätzlich stiegen ab 46 die Risiken für Frau und Kind massiv an.
Die nationale Ethikkommission empfiehlt, dass die Eizellenspende in der Schweiz zugelassen werden sollte. Das findet auch Leeners vom USZ.
Bleibt die Frage, was sich die Betroffene Elenor von der Zukunft erhofft. Die Antwort kommt schnell: «Ich wünsche mir eine bessere und proaktive Aufklärung über Social Freezing durch Gynäkologen. Und eine Enttabuisierung des Themas.»
Elenor hofft nun auch auf die Politik. Zwar werden ihre eingefrorenen Eizellen noch acht Jahre gelagert, doch befürwortet sie für jüngere Frauen eine Aufhebung der zeitlichen Lagerungsfrist.
«Ob ich meine Eizellen, falls ich sie nicht selber brauchen würde, einer anderen Kinderwunsch-Frau spenden würde, entscheide ich zu gegebenem Zeitpunkt.» Die Legalisierung der Eizellspende unterstützt sie «ganz klar», eine solche Entscheidung gelte es, den Betroffenen zu überlassen. «Alles andere ist im Sinne der Wahlfreiheit nicht fortschrittlich.»
*Name der Redaktion bekannt
Was für eine Aussage! Aber Männer dürfen noch mit 70 Väter werden?
Item, ich würde ihn gerne etwas fragen.
2021 war Roger Köppel 56 jährig. Seine Kinder waren damals 11, 9, 6 und nicht ganz 2. Seine Ehefrau war 45 jährig. Jetzt werden wahrscheinlich alle ca 3 Jahre älter sein (ja, rechnen kann ich).
Heisst:
Bei Kind 1 war sie 34. Das ist ok.
Bei Kind 2 war sie 36. Das ist ok.
Bei Kind 3 war sie 39. Das ist noch knapp ok.
Bei Kind 4 war sie 43. Das ist gemäss Huber nicht mehr ok.
Würde er das Köppel so sagen, oder gelten da andere Ansichten?